Von Grenzen, Respekt und Brokkoli

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Die Traumtänzerin ist eine sehr selektive Esserin. Das begann schon im Kleinkindalter. Hoaglig, sagt man dazu in Bayern. Nachdem ich jahrelang verzweifelt versucht habe, sie ständig und immer wieder zu überzeugen, doch dies zu probieren oder jenes, einen Klecks Sauce zu ihren trockenen Nudeln oder einen Löffel Erbsen zu nehmen, gab ich es auf, und beschloss, meine Tochter einfach so zu nehmen wie sie ist. Und das ist deutlich weniger Stress für alle Beteiligten! Sie ernährt sich keineswegs ungesund und definitiv ausgewogen! Sie isst täglich frisches Obst und Gemüse – allerdings nur rohes! Dazu fast jeden Morgen Müsli (richtiges, nicht das als „Cerealien“ getarnte Zuckerzeug) oder Porridge, über den Tag verteilt Milchprodukte, Getreide, Salat, hin und wieder etwas Fisch und Nüsse usw. Was sie eben nicht gerne mag, ist gekochtes Gemüse oder alles aus der Kohlfamilie, Saucen, Überbackenes oder Gerichte, bei denen die einzelnen Komponenten schon miteinander vermischt sind. Klingt doch gar nicht dramatisch – oder? Wir können damit jedenfalls gut leben! Ihr Repertoire an gekochten Gerichten wächst langsam, aber stetig. Sie liebt beispielsweise inzwischen Schweinebraten mit Knödeln und – man glaubt es kaum – Sauce! Sie isst Spinat – im Gegensatz zu bestimmt vielen anderen Kindern und vieles mehr.

Heute morgen erzählte sie mir – wie schon öfter – dass es in der Mittagsbetreuung Usus ist, dass die Kinder alles probieren sollen. Ich hatte sie bisher immer ermuntert, es doch tatsächlich mal zu versuchen, wenn ihr aber etwas nicht schmeckt, müsse sie es beim nächsten Mal keinesfalls probieren! Das tat sie auch. Wenn es aber bei den Kindern so rüberkommt, dass sie nur Hauptspeise und/oder Nachtisch bekommen, wenn sie auch die Suppe probieren, finde ich das definitiv falsch. Ein Kind zu nötigen, z.B. Brokkolicremesuppe zu „probieren“, obwohl es den Geschmack kennt und definitiv keinen Brokkoli mag (und sogar mal davon spucken musste), geht gar nicht! Und mit dem Vorenthalten der Haupt- oder Nachspeise zu „drohen“, grenzt  streng genommen schon an Erpressung!

Als ich auf Twitter nachfragte, konnte ich feststellen, dass viele Eltern es gutheißen, wenn ihre Kinder zum Probieren „gezwungen“ werden. Das ist aber auch definitiv immer eine individuelle Geschichte. Jedes Kind ist anders – und viele Kinder empfinden es tatsächlich nicht als schlimm oder übergriffig, wenn sie den Blumenkohl probieren müssen und sind dann unter Umständen sogar zu überzeugen. Andere Kinder können das aber sehr wohl als Zwang und schlimm empfinden. Hier muss man also definitiv auch auf die einzelnen Persönlichkeiten Rücksicht nehmen.

Ich finde, dass heutzutage die persönlichen Grenzen unserer Kinder so oft ignoriert werden – nicht nur beim Essen. Warum können wir das „Nein“ eines Kindes nicht respektieren? Für uns möchten wir das doch auch. Ich wüsste gerne mal, wie einige Erwachsene reagieren würden, würde man sie nötigen, das Kalbshirn, die Hühnerherzen oder Känguruhoden zu probieren, bevor sie sich über ihr geliebtes Schnitzel hermachen dürfen. Ich jedenfalls unterstütze dieses „Nein“ meiner Tochter und habe dies auch höflich für meine Tochter eingefordert.

Kinder holen sich in der Regel schon, was sie brauchen. Natürlich müssen wir Eltern darauf schauen, dass z.B. der Süßigkeitenkonsum verhältnismäßig ist, dass immer wieder abwechslungsreiche und gesunde Speisen angeboten werden (in unserem Fall dann eben das Gemüse für die Traumtänzerin als Rohkostbeilage!) und die Kinder gesund sind. Und natürlich kann man immer mal wieder versuchen oder fragen, ob sie es nicht doch probieren wollen. Das tue ich auch. Aber wir müssen eben auch ihre Grenzen akzeptieren und ihnen vertrauen – so meine persönliche Meinung.

Ich habe eine Freundin, die als Kind ihre Mutter wahnsinnig gemacht hat, weil sie so schlecht gegessen hat. Heute ist sie ayurvedische Ernährungsberaterin und isst von all meinen Bekannten am gesündesten! Das lässt doch hoffen!

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5 Kommentare

  1. Ich war auch so ein Kind. Meine Mutter war damals sogar mit nur beim Arzt und der meinte genau das: Sie holt sich schon was sue braucht.
    Solange Zucker in Maßen und so abwechslungsreich wie möglich, alles kein Problem. Und ganz langsam wurde dann immer mehr gegessen. Vieles auch erst in den letzten Jahren, aber wenn man probieren darf und nicht muss, verliert man auch nie die Lust am probieren und testen und erweitert seine Lebensmittelpalette so ständig und zwar mit dem was einem wirklich gut tut. Weiter so!

  2. Hallo liebe Cynthia,

    ich habe die ein Kommentar versprochen, weil meine Meinung zu dem Tehma mehr als 140 Zeichen fasst. Und ich mich nicht kurzfassen oder auf 100 Tweets verteilen möchte.

    Essen ist eine Erfahrung, die man mit allen Sinnen macht.
    Essen wird durch den Geschmack, die Konsistenz, den Geruch und das Aussehen von uns bewertet. Was uns „nicht schmeckt“ hängt nicht nur von dem Geschmack ab. Der auch noch dazu von jedem Menschen anders wahrgenommen wird.

    Für mich reicht es deswegen, wenn unsere Kinder das Essen sich angucken, dran riechen. Wenn sie es dann nicht essen wollen, müssen sie es nicht probieren. Dürfen aber gerne von unseren Tellern probieren, wenn sie ihre Meinung ändern. Das kommt vor.

    Unser Sohn konnte sich schon früh sehr differenziert ausdrücken und sagt auch häufig, dass er etwas nicht essen möchte, weil es für ihn „nicht so lecker“ aussieht.
    Und das ist okay.

    Probieren geht nicht nur über „nimm das in den Mund und iss das gefälligst!“

    Ich empfinde diesen Zwang, den es häufig in KiTas und KiGas gibt als herabwürdigend, respektlos und grenzüberschreitend. Es ist schlicht und einfach nicht okay.

    Ich finde es gut, dass du das den ErzieherInnen kommunizierst. Vielleicht sprichst du es auch am nächsten Elternabend mal an.

    Liebe Grüße
    Lela

  3. Dein Artikel hält, was die coole Überschrift verspricht! Hier ernährt sich der Sohn zu großen Teilen von Müsli (…leider von dem als Cerealien getarnten Zuckerzeug) aber ich habe dem Probierenmüssen auch abgesagt. Mitunter probiert er etwas bei Freunden und vegrößert so seinen Geschmack, das freut mich. Und ansonsten tröste ich mich damit, dass niemand mit Mitte 20 nur Nudeln und Ketchup isst. Das kommt schon…. ohne Zwang! Lieben Gruß, Svenja

  4. Niemand isst mit Mitte 20 nur Nudeln mit Ketchup? Da muss ich Sie leider enttäuschen: Ich hatte zu WG-Zeiten mal einen Mitbewohner, dessen einzige Mahlzeit zu Hause immer dasselbe war: Spagetti mit viel Suppenwürfel. Nicht zuletzt deswegen reagiere ich etwas unrund, wenn meine 4Jährige alles außer Süßes, Pommes, Nudeln nackt oder mit Ketchup, Reis nackt und Butterbrot verweigert…

    • Hallo Tiger,

      mein Bruder und ich hatten im Jugendalter auch noch ein mal so eine Phase, in der wir nur Fast-Food aßen. Da sind wir aber beide definitiv raus gewachsen – mein Bruder sogar ganz ohne selber Kinder zu bekommen.
      Wir wurden nie zum Probieren gezwungen und haben nur gegessen, was uns schmeckte. Wir sind heute sehr probierfreudig beim Thema Essen und essen und kochen sehr ausgewogen und gesund.

      Was mit aber viel mehr auffällt, ist das viele gar nicht kochen können, wenn sie zuhause ausziehen. Vielleicht war das ja eher der Grund deines WG-Mitbewohners?!

      Liebe Grüße
      Lela