Ein Unfall und seine Folgen

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Vor 14 Monaten passierte etwas, dessen Folgen uns dieser Tage wieder einholten und die mich traurig, wütend, vertändnislos und dennoch dankbar machen. Versteht ihr nicht? Dann lasst mich von vorne beginnen:

Es war in den Pfingstferien 2013. Wir wohnten mittlerweile schon 6 Jahre in unserem Haus und der Keller war noch immer in einem recht unfertigen Zustand. Na gut, seien wir ehrlich, er war ein chaotischer Verhau – ohne Schränke und ohne Ordnung stapelten sich all die Dinge dort, die man eben so im Keller hat.
Also fuhren wir in besagten Ferien einigermaßen motiviert in ein Möbelhaus um Schränke zu finden, die diesem Keller-Elend ein Ende setzen sollten. Welches Möbelhaus das war, möchte ich hier nicht näher sagen. Nur so viel – es war kein schwedisches.
Praktische und sogar recht günstige Schränke waren schnell gefunden, auch wenn wir sie nicht gleich kauften sondern noch nach Alternativen schauen wollten. Auf dem Weg zum Ausgang kamen wir an den Esstischen vorbei und da wir zu dem Zeitpunkt auch noch keinen schönen hatten, warfen wir noch einen kleinen Blick auf die Auswahl. Neben einer Essgruppe stand eine halbhohe Mauer, vielleicht knapp 1m hoch. Die Traumtänzerin stand auf der anderen Seite der Mauer. Wir waren in dem Moment auf den Esstisch konzentriert und sahen nicht zu ihr rüber, aber später reimten wir es uns so zusammen, dass sie sich – in der Absicht zu uns rüber zu schauen – auf dem Mauerrand abstützte. Was wir wahrnahmen war ein gewaltiger Knall, gefolgt von lautem Schreien der Traumtänzerin. Wir sprangen sofort zu ihr, sie lag auf dem Boden, die Mauer (welche – wie wir jetzt erst sehen konnten – in keinster Weise befestigt, sondern lediglich auf der Schmalseite aufgestellt worden war!) auf ihr drauf.
Wir zerrten die relativ schwere Mauer von ihr runter, sie weinte, ihr Bein täte so weh – ich konnte beginnende leichte Schrammen ausmachen. Und dann wimmerte sie „mein Kopf!“ Da sah ich eine dicke Schramme und einen beginnenden Bluterguss an ihrer Schläfe. Sofort schickte ich meinen Mann los, Eis zu besorgen und er machte sich auf die Suche nach einem Verkäufer – von denen weit und breit keiner zu sehen war – trotz des gewaltigen Knalls und Geschrei. Irgendwann kam er zurück und kurz nach ihm ein Verkäufer mit – wenn es nicht so grotesk wäre, wäre es echt zum Lachen – einem Eis am Stiel in der Hand!

Wir packten die Traumtänzerin (und natürlich das Lausdirndl), verließen das Möbelhaus und sagten nur an der Information, sie würden wieder von uns hören. Wir befanden uns etwa 20 Minuten Fahrzeit vom nächsten Kinderkrankenhaus weg und 10 Minuten von Kinderarzt. Also fuhren wir dorthin. Der Arzt desinfizierte die Schramme nur kurz, leuchtete in die Pupillen der Traumtänzerin und schickte uns direkt weiter in die Kinderchirurgie. Also wieder ins Auto und ab Richtung 30Km entfernter Kinderklinik. Wir waren gerade losgefahren, da fielen der Traumtänzerin, die mittlerweile auch recht still geworden war, die Augen zu. Wenn dem eigenen kopfverletzten Kind so etwas passiert bekommt man es wirklich mit der Angst zu tun! Also trat mein Mann – der sonst wirklich ein besonnener Fahrer und kein Raser ist – aufs Gas. Er hatte große Angst um seine Tochter und wollte sie so schnell wir möglich ins Krankenhaus bringen (einen Krankenwagen zu rufen hätte alles in allem noch länger gedauert) Dass wir dabei geblitzt wurden, bekamen wir nicht einmal mit.

Im Krankenhaus wurden Beine und Kopf geröntgt, Augen und Ohren untersucht, Kreislauf und Temperatur kontrolliert und die nächsten beiden Nächte verbrachte ich mit meiner Tochter stationär. Schädel-Hirn-Trauma war ein Teil der Diagnose.
Die rechte Gesichtshälfte der Traumtänzerin schwoll stetig an und bereits am Tag nach dem Unfall konnte sie das rechte Auge nicht mehr öffnen. Sie sah verheerend aus und beim ersten Blick in den Spiegel erschrak sie so sehr, dass sie tagelang nicht mehr in den Spiegel schauen wollte. Die Prellung wurde so dick, dass ihr Gesicht grotesk verzerrt wurde und schillerte leuchtend blau und rot. Ich musste mich so zusammenreißen, beim Anblick meines Kindes nicht jedes Mal in Tränen auszubrechen.
Als sie 3 Tage später das Auge wieder leicht öffnen konnte sahen wir, dass das Weiße im Auge nun komplett blutrot war – eine Augapfelquetschung wie die Augenärztin später diagnostizierte – zum Glück ohne bleibende Folgen. Es sah wirklich schlimm aus und die Traumtänzerin traute sich anfangs kaum raus. Alle Leute, denen wir begegneten starrten sie schockiert an – kein Wunder.
Es dauerte einige Wochen und das gesamte Farbspektrum des Regenbogens bis das Gesicht der Traumtänzerin wieder seine normale Farbe hatte und die Augäpfel wieder ganz weiß waren. Die Kruste von der Schürfwunde an der Schläfe verschwand als letztes.

Irgendwann in dieser Zeit flatterte dann der Brief von der Polizei ins Haus von der Radarkontrolle auf dem Weg ins Krankenhaus. Weil mein Mann sehr schnell gefahren war, ging es hier um Fahrverbot plus Geldstrafe in 3-stelliger Höhe. Da wir ohnehin mit einem Anwalt im Kontakt waren wegen der Fahrlässigkeit des Möbelhauses nahm der sich auch dieser Sache an und versicherte, die Angelegenheit müsste eigentlich ganz vom Tisch fallen – zumindest aber deutliche Strafminderung ergeben.
Zum Gerichtstermin der diese Sache behandelte ging ich nicht mit, aber mein Mann erzählte mir später, dass es eine unfassbare Unverschämtheit gewesen sei. Die Richterin schaute nicht ein einziges Mal von ihren Unterlagen auf und schmetterte den Antrag auf Minderung mit der Begründung ab, wir seien ja zuvor beim Kinderarzt gewesen und wenn wirklich Gefahr im Verzug gewesen wäre hätte er das ja gesagt und einen Krankenwagen gerufen. Dass die Augen der Traumtänzerin erst NACH dem Arzttermin im Auto zufielen und sie immer ruhiger wurde schien sie vergessen, nicht bedacht oder schlichtweg ignoriert zu haben. Mal ganz abgesehen davon, dass wir auch keine Mediziner sind und nicht einschätzen können, welche Symptome alarmierend sind und welche nicht.
Nun ist es aber so, dass man nach der Urteilsbegründung nichts mehr an Argumenten hervorbringen darf. Also hieß es Antrag auf Revision.
Diese wurde uns allerdings letzte Woche dann ohne eine weitere Chance auf Anhörung versagt, man hätte das Urteil nochmals geprüft und es sei rechtskräftig.

Ich bin einfach so wütend über diese Ungerechtigkeit. Es geht mir gar nicht mal primär um das Bußgeld oder den 1 Monat Fahrverbot – obwohl uns beides natürlich schmerzt – sondern um die Tatsache, dass die Angst der Eltern um ihr Kind überhaupt keine Rolle zu spielen scheint. Wie viele Verbrecher werden in Deutschland laufen gelassen, aber einem Vater, der seine Tochter schnellstmöglich ins Krankenhaus bringen möchte weil er Angst um sie hat werden keine mildernden Umstände zugesprochen?
Das macht mich wütend und traurig und ich kann es wirklich, wirklich nicht verstehen.

Und warum ich jetzt trotzdem dankbar bin? Nun, weil ich dadurch wieder an die Situation erinnert wurde und wie froh ich bin, dass nichts Schlimmeres passiert ist und meine Tochter keine Folgeschäden davongetragen hat, sondern gesund und munter ist. Und das ist letztendlich das was für uns zählt!

Schränke haben wir übrigens immer noch keine – die Lust auf dieses Projekt war uns seitdem gründlich vergangen. Aber wer weiß, vielleicht schaffen wir es ja in diesen Ferien – natürlich in einem anderen Möbelhaus…

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Nachtrag: dieses Bild hat die Traumtänzerin übrigens nach dem Unfall gemalt. Das ist sie selbst im Krankenhaus. Mit KKH-Bett, Monitor, Essenstablett und natürlich ihrer Verletzung. Da ich hier selbstverständlich kein Foto zeige, bekommt ihr so einen klitzekleinen Einblick. Mir blutet auch heute noch jedes Mal das Herz, wenn ich das Bild sehe :-(

2 Kommentare

  1. Oh mein Gott! Was für ein schrecklicher Alptraum! Ihr Armen… ich verstehe das deutsche Rechtssystem wirklich nicht, wie kann man nur so herzlos und zudem unlogisch sein?? Solche A…löcher! Krass! Und ein Glück dass es nochmal gut ausgegangen ist… hoffe das Möbelhaus kriegt noch eine fette Strafe!

    Liebe Grüße, Janina